Ob in meiner psychologischen Online-Praxis oder in Gesprächen mit Freund*innen und Kolleg*innen – immer häufiger begegnet mir ein Thema, das vor wenigen Jahren noch wie Science-Fiction klang: Künstliche Intelligenz (KI).
Was macht es mit unserem Selbstbild, wenn nicht mehr nur andere Menschen, sondern auch Maschinen uns sagen, was wir tun, wie wir uns fühlen oder wer wir sein sollten?
Ich lade Sie herzlich ein, mit mir gemeinsam genauer hinzuschauen. Denn ich bin überzeugt: Wenn wir verstehen, wie neue Technologien auf unsere Psyche wirken, können wir ihnen bewusster und selbstbestimmter begegnen.
Was meine ich mit „Selbstbild“?
Ihr Selbstbild ist die Summe der Eindrücke, die Sie von sich selbst haben. Es entsteht aus Erfahrungen, Erinnerungen, Ihrem sozialen Umfeld – und heute zunehmend auch aus dem digitalen Raum.
Früher waren es persönliche Gespräche, Rückmeldungen von Menschen, Situationen in Familie und Beruf, die unser Bild von uns selbst formten. Heute treten immer mehr algorithmische Rückmeldungen hinzu: Empfehlungen, Rankings, Likes – generiert von künstlicher Intelligenz. Und das verändert etwas.
KI als Spiegel – aber wessen Spiegelbild sehen Sie?
Wenn Sie regelmäßig soziale Medien oder Streaming-Plattformen nutzen, erleben Sie es wahrscheinlich täglich: Algorithmen schlagen Ihnen Inhalte vor, die scheinbar perfekt zu Ihnen passen. Und gleichzeitig setzen diese Inhalte oft Maßstäbe – für Schönheit, Erfolg, Lebensweise.
Was macht das mit Ihrem Selbstbild?
In Gesprächen mit Klientinnen und Klienten beobachte ich: Viele vergleichen sich – meist unbewusst – mit diesen oft optimierten Bildern. Das kann Selbstzweifel verstärken und das Gefühl vermitteln, nicht „gut genug“ zu sein. Besonders problematisch ist das, wenn diese Vergleiche häufiger stattfinden als der wertschätzende Kontakt zu echten Menschen.
Wenn Zahlen das Bauchgefühl ersetzen
Vielleicht nutzen auch Sie Apps, die Ihren Schlaf, Ihre Schritte oder Ihre Stimmung tracken? Diese Tools können durchaus hilfreich sein – sie fördern Achtsamkeit und bieten Orientierung.
Doch in meiner Praxis erlebe ich auch: Manche Menschen verlieren das Vertrauen in ihre eigene Wahrnehmung. Wenn die App sagt, Sie hätten „schlecht“ geschlafen, fühlen Sie sich automatisch erschöpft – obwohl Sie sich eigentlich ausgeruht fühlen.
Die zentrale Frage lautet:
Wem glauben Sie mehr – Ihrer inneren Stimme oder dem KI-gestützten Feedback?
Entscheidungen outsourcen – und mit ihnen Selbstverantwortung?
In unserer digitalen Welt werden viele Entscheidungen abgenommen: Welche Nachrichten Sie lesen. Welche Musik Sie hören. Welche Partner*in „zu Ihnen passt“. KI-basierte Systeme versuchen, uns das Leben zu erleichtern – und manchmal tun sie das auch.
Aber: Wenn wir uns zu oft auf diese Vorgaben verlassen, kann das langfristig unser Selbstvertrauen untergraben. Wir gewöhnen uns daran, dass andere – Maschinen – „wissen, was gut für uns ist“. Dabei ist es eine essenzielle psychologische Ressource, selbst Entscheidungen zu treffen – auch mal falsche.
Zwischenmenschliche Nähe im digitalen Zeitalter
Eine besondere Beobachtung aus meiner Online-Praxis betrifft unsere Beziehungen: Immer mehr Menschen berichten, dass sie sich in digitalen Gesprächen „sicherer“ fühlen als im echten Kontakt. KI-gestützte Chatbots sind immer verständnisvoll, immer verfügbar – und nie verletzt oder enttäuscht.
Aber echte Beziehungen sind anders: Sie sind widersprüchlich, lebendig, manchmal anstrengend – und genau darin liegt ihr Wert.
Meine Einladung an Sie:
Erlauben Sie sich, wieder öfter in echten Kontakt zu treten – mit all der Unsicherheit und Echtheit, die dazugehört.
Was Sie tun können – meine Impulse aus der Praxis
- Machen Sie sich bewusst, was KI ist – und was nicht.
Sie ist ein Werkzeug. Kein Orakel. Keine Wahrheit. - Stärken Sie Ihre Selbstwahrnehmung.
Schreiben Sie auf, was Sie fühlen – ohne App. Fragen Sie sich: Was will ich gerade wirklich? - Vergleichen Sie weniger – erleben Sie mehr.
Machen Sie Dinge, die nicht „geteilt“ oder bewertet werden müssen. Nur für sich. - Pflegen Sie echte Beziehungen.
Fragen Sie bewusst nach, hören Sie zu, reden Sie ehrlich – auch wenn’s mal hakt.
Liebe Leserinnen und Leser,
KI ist gekommen, um zu bleiben. Aber wie sie unser Selbstbild beeinflusst, liegt auch in unserer Hand. In meiner psychologischen Online-Praxis begleite ich Menschen dabei, den eigenen inneren Kompass (wieder) zu entdecken – und ihn nicht an Algorithmen abzugeben.