In meiner täglichen Arbeit als Paarberater erlebe ich immer wieder, wie komplex und gleichzeitig zutiefst menschlich die Dynamiken in Beziehungen sind. Viele Paare kommen mit ähnlichen Fragen: Warum fühlen wir uns voneinander entfernt, obwohl wir uns lieben? Wieso streiten wir immer über dieselben Themen? Warum habe ich das Gefühl, mein Partner oder meine Partnerin versteht mich nicht mehr?

Diese Fragen führen oft zu einem Kernpunkt, der über das rein Alltägliche hinausgeht: Was braucht eine Partnerschaft, um wirklich zu gelingen?

Die Antwort liegt selten in Techniken oder konkreten Verhaltensregeln. Vielmehr geht es um Haltungen – wie wir dem anderen begegnen, wie wir mit Nähe und Distanz umgehen und ob wir bereit sind, den anderen in seiner Eigenart anzunehmen, ohne ihn verändern zu wollen.

 

Nähe – Verbindung, die berührt

Nähe ist eines der Grundbedürfnisse in einer Partnerschaft. Wir wollen gesehen, gehört und gefühlt werden. Wir wollen wissen: Ich bin dir wichtig. Du bist bei mir – emotional, nicht nur körperlich.

Doch genau dieses Bedürfnis kann paradoxerweise zu Problemen führen. Wenn der Wunsch nach Nähe zu einem Zwang wird – nach permanenter Übereinstimmung, nach ständiger Rückmeldung oder Verfügbarkeit – entsteht Druck. Der andere fühlt sich vielleicht eingeengt oder überfordert.

In vielen Gesprächen mit Paaren lade ich dazu ein, Nähe neu zu definieren. Nähe bedeutet nicht, ständig alles gemeinsam zu tun. Es bedeutet auch nicht, sich in jeder Sekunde zu verstehen. Wahre Nähe entsteht dort, wo wir einander wirklich zuhören, ohne sofort zu urteilen oder zu reagieren. Wo wir unsere Masken ablegen dürfen, unsere Verletzlichkeit zeigen – und damit nicht zurückgewiesen, sondern gehalten werden.

Ein Satz, den ich in der Beratung oft verwende, lautet:
„Nähe beginnt mit dem Mut, sich selbst zu zeigen – und der Fähigkeit, den anderen zu lassen.“

 

Distanz – der Raum, in dem wir atmen

So widersprüchlich es klingt: Ohne Distanz kann Nähe nicht bestehen. In einer Partnerschaft brauchen wir nicht nur das Wir, sondern auch das Ich. Unsere eigene Zeit, unsere Gedanken, unsere Entwicklung. Wenn einer von beiden oder beide sich selbst in der Beziehung verlieren, entstehen Unzufriedenheit, Langeweile oder ein diffuses Gefühl von Enge.

Distanz ist kein Zeichen von Lieblosigkeit – sondern Ausdruck von Respekt. Sie bedeutet: Ich sehe dich nicht als Verlängerung meiner selbst, sondern als eigenständigen Menschen mit Bedürfnissen, die nicht immer deckungsgleich mit meinen sind.

Gerade in langjährigen Beziehungen kommt es häufig vor, dass sich Routinen verfestigen und jeder glaubt, den anderen „in- und auswendig“ zu kennen. Doch genau hier liegt eine große Chance: sich bewusst voneinander zu entfernen, um sich neu zu begegnen. Ein bisschen wie beim Tanzen – mal näher, mal mit mehr Abstand. Aber immer verbunden.

Ein wichtiges Bild, das ich Paaren manchmal mitgebe:
„Eine gute Beziehung ist wie ein Feuer. Sie braucht Nähe, damit die Flamme nicht verlischt – und Abstand, damit sie nicht erstickt.“

 

Den anderen nicht verändern wollen – oder: Die Kunst der Akzeptanz

Einer der häufigsten versteckten Konflikte in Beziehungen ist der Versuch, den anderen zu verändern. Oft geschieht das nicht in böser Absicht. Es beginnt leise: „Könntest du nicht…?“ – „Warum bist du immer…?“ – „Ich wäre glücklicher, wenn du nur…“

Doch hinter solchen Sätzen steckt oft die Vorstellung, dass mein eigenes Wohlbefinden davon abhängt, wie sehr der andere sich an meine Erwartungen anpasst. Diese Haltung führt fast zwangsläufig zu Enttäuschung – und zu Widerstand.

Denn jeder Mensch hat seine Geschichte, seine Prägungen, seine Art zu lieben und zu kommunizieren. Wenn wir den anderen als „noch nicht fertig“ betrachten, machen wir aus der Beziehung ein Projekt – und übersehen dabei, was jetzt schon da ist.

In der Beratung arbeite ich oft mit dem Perspektivwechsel:
Was, wenn dein Partner oder deine Partnerin sich nie ändern würde? Könntest du ihn oder sie trotzdem lieben – genau so?

Diese Frage ist unbequem. Aber sie öffnet eine Tür zu echter Akzeptanz. Und Akzeptanz ist nicht gleichbedeutend mit Passivität. Sie bedeutet, den anderen in seinem Wesen anzuerkennen – und trotzdem in den Dialog zu treten, wenn Bedürfnisse nicht erfüllt werden.

Denn natürlich geht es nicht darum, alles hinzunehmen, was belastet. Sondern darum, zwischen Verhaltensweisen (die sich verändern lassen) und Wesen (die zum Kern eines Menschen gehören) zu unterscheiden.

 

Was wirklich verbindet

Wenn ich über gelingende Partnerschaft spreche, meine ich keine perfekte Beziehung. Es gibt sie nicht. Es wird immer Momente der Spannung geben, Missverständnisse, Verletzungen. Entscheidend ist nicht, ob wir in Schwierigkeiten geraten – sondern wie wir damit umgehen.

Was Paare wirklich verbindet, ist nicht die ständige Harmonie, sondern die Fähigkeit, auch im Konflikt in Verbindung zu bleiben. Es ist das Vertrauen: Du bleibst bei mir, auch wenn wir uns gerade nicht einig sind. Und ich sehe dich, auch wenn du mir fremd erscheinst.

Eine erfüllte Beziehung lebt von dieser Balance: Nähe und Distanz. Bindung und Freiheit. Eigenständigkeit und Gemeinsamkeit. Und vor allem: von einer tiefen inneren Haltung, die sagt:
„Ich bin bereit, dich immer wieder neu kennenzulernen – nicht als Idealbild, sondern als Mensch.

Liebe Leserinnen und Leser,

wenn Paare zu mir in die Beratung kommen, geht es oft gar nicht nur um Kommunikation oder Konflikte – sondern um die tiefer liegende Frage: Wie können wir wieder zueinander finden, ohne uns selbst dabei zu verlieren?

Ich begleite Sie dabei, gemeinsam neue Wege zu gehen, Blockaden zu lösen und den Blick füreinander wieder zu öffnen. Manchmal braucht es dazu nur ein neues Verständnis – manchmal eine längere Reise.

Aber der erste Schritt ist immer derselbe:
Sich ehrlich begegnen – als zwei Menschen, die nicht perfekt sein müssen, um einander lieben zu können.

Rainer Schwenkkraus

Berater und Autor