In meiner Beratungspraxis erlebe ich immer wieder Momente tiefer Erkenntnis, wenn Frauen verstehen, warum sie wie hypnotisiert sind von bestimmten Männern. Ein Mann betritt den Raum – selbstsicher, unnahbar, mit dieser gefährlichen Ausstrahlung von Macht und Unberechenbarkeit. Das Herz beginnt zu rasen, obwohl der Verstand bereits die Warnsignale erkennt. Die Anziehung wird zu einem Sog, dem sich kaum entziehen lässt.
Später, wenn die Tränen getrocknet sind und das Herz wieder gebrochen ist, kommt die schmerzhafte Frage: Warum passiert mir das immer wieder? Warum ziehen mich ausgerechnet die Männer an, die mir nicht guttun?
Die Weisheit der uralten Muster
In der buddhistischen Lehre spricht man von Samskaras – tief eingeprägte Verhaltensmuster, die unser Handeln lenken, oft ohne dass wir es bemerken. Was wir als spontane Anziehung erleben, ist in Wahrheit das Echo jahrmillionenlanger Evolution, gepaart mit persönlichen Wunden und Konditionierungen.
Das Unterbewusstsein trägt noch immer die Blaupausen unserer Vorfahren in sich. Dominanz, körperliche Präsenz, eine gewisse Gefährlichkeit – all das signalisierte einst Schutz und Überlebensfähigkeit. Der Mann, der andere überstrahlte, der Risiken einging, der nicht um Erlaubnis bat – er versprach Sicherheit in einer unsicheren Welt.
Doch wie oft im Leben wird das, was einst schützte, zur Falle.
Der Schatten der Anziehung
Carl Jung lehrte uns, dass wir oft das anziehen, was unserem Schatten entspricht – jene Teile von uns, die wir verdrängt oder nie entwickelt haben. In meiner Arbeit beobachte ich, wie Frauen, die sich selbst als zu brav, zu angepasst empfinden, sich magisch zu Männern hingezogen fühlen, die scheinbar alle Regeln brechen.
Der sogenannte „Bad Boy“ wird zur Projektionsfläche für die eigene ungelebte Wildheit, die unterdrückte Rebellion, den Hunger nach Intensität. In seiner Nähe fühlen sie sich lebendig – nicht ahnend, dass sie sich dabei oft selbst verlieren.
Seine Unberechenbarkeit erzeugt das, was die Psychologie „intermittierende Verstärkung“ nennt – wie beim Glücksspiel entsteht eine Sucht nach den seltenen Momenten seiner Aufmerksamkeit. Sein Desinteresse wird zur Herausforderung, seine Distanz zum Beweis seiner Begehrenswertheit.
Die Illusion des Zähmens
Tief verwurzelt lebt ein uralter Mythos: die Vorstellung, dass Liebe alles verwandeln kann. Dass eine Frau die Eine sein könnte, die den wilden Mann zähmt, die sein Herz öffnet, die ihn zur Treue bewegt. Diese Phantasie nährt sich aus dem tiefsten Bedürfnis nach Bedeutsamkeit – wer könnte wertvoller sein als die Frau, die das Unmögliche schafft?
Doch Transformation kann nur von innen kommen. Ein Mann, der emotional unverfügbar ist, der fremdgeht, der manipuliert oder verletzt, tut dies nicht aus Mangel an der richtigen Liebe. Er tut es aus seinen eigenen ungeheilten Wunden heraus – und diese können nur durch seine eigene bewusste Arbeit an sich selbst geheilt werden.
Der Preis der unbewussten Wahl
Wenn wir uns immer wieder zu denselben Männertypen hingezogen fühlen, zahlen wir einen hohen Preis:
Der Selbstwert wird zur Geisel seiner Launen. Es entsteht der Glaube, Liebe sei Kampf, Beziehung bedeute Leiden, Glück sei nur in seltenen Momenten möglich.
Gleichzeitig entwickelt sich eine Blindheit für die stillen Stärken – für Männer, die ihre Kraft in Verlässlichkeit zeigen, ihre Intensität in Aufmerksamkeit, ihre Leidenschaft in Treue. Sie erscheinen fad, weil sie nicht das Drama-Radar aktivieren.
Der Weg der bewussten Liebe
Wie können wir aus diesem Kreislauf ausbrechen? Nicht durch Verurteilung der eigenen Muster, sondern durch liebevolle Bewusstheit.
Achtsamkeit der Anziehung: Wenn das nächste Mal diese intensive Anziehung entsteht, geht es um das Innehalten. Tief durchatmen. Sich fragen: Was genau zieht an? Ist es seine Art, mit anderen umzugehen, oder nur die Aufregung, die er auslöst?
Mitgefühl mit der eigenen Geschichte: Oft spiegeln Partnerwahlen frühe Beziehungserfahrungen wider. Der emotional unverfügbare Vater, die kritische Mutter – unbewusst versuchen wir, alte Wunden zu heilen, indem wir ähnliche Situationen erschaffen. Diese Muster zu erkennen bedeutet, sie mit Güte für sich selbst zu betrachten.
Die Meditation der Langsamkeit: Sanften, aufmerksamen Männern Zeit geben. Zulassen, dass Anziehung sich entwickelt wie eine Blüte – langsam, natürlich, aus echtem Kennenlernen heraus. Manchmal verbirgt sich hinter der stillen Oberfläche ein Ozean der Tiefe.
Heilung der inneren Spaltung: Daran arbeiten, die eigene Wildheit zu integrieren. Selbst die Frau werden, die Risiken eingeht (gesunde!), die für ihre Träume kämpft, die ihre Grenzen kennt und verteidigt. Dann braucht es keinen Mann mehr, der diese Energie stellvertretend lebt.
Die Weisheit der reifen Liebe
Wahre Anziehung liegt nicht in der Intensität des Dramas, sondern in der Tiefe der Verbindung. Ein Mann, der sowohl stark als auch sanft sein kann. Der Leidenschaft zeigt, ohne Chaos zu erschaffen. Der präsent ist – nicht nur in den berauschenden Momenten, sondern auch im grauen Alltag.
Diese Art der Liebe ist weniger aufregend, aber unendlich nährend. Sie ist der Unterschied zwischen einem Feuerwerk und einem warmen Licht, das niemals erlischt.
Liebe Leserinnen und Leser,
der Weg zu bewusster Partnerwahl erfordert Mut – den Mut, alte Muster loszulassen, auch wenn sie vertraut sind. Den Mut, sich für die Ruhe zu entscheiden, wenn man Sturm gewohnt ist. Den Mut, Liebe als Nahrung zu verstehen, nicht als Kampf.