Als ich kürzlich Marcus Aurelius‘ „Selbstbetrachtungen“ wieder las – ein Buch, das ich meinen Klient*innen manchmal empfehle –, fiel mir eine verblüffende Ähnlichkeit zu buddhistischen Texten auf. Beide Traditionen sprechen von der Vergänglichkeit, von der Akzeptanz des Leidens und von der Bedeutung der inneren Ruhe. Könnte es sein, dass Buddha, der von 563-483 v. Chr. lebte, bereits stoische Prinzipien verkörperte, bevor es die Stoa überhaupt gab?

 

Die Parallelen sind verblüffend

Akzeptanz des Unvermeidlichen: Der Buddha lehrte die Akzeptanz der „Ersten Edlen Wahrheit“ – dass das Leben Leiden (Dukkha) beinhaltet. Die Stoiker sprachen von der „Amor fati“, der Liebe zum Schicksal. Beide Traditionen betonen, dass Widerstand gegen das Unvermeidliche nur zusätzliches Leid schafft.

Loslassen von Anhaftungen: Buddhas Lehre von der Nicht-Anhaftung findet sich in erstaunlich ähnlicher Form bei Epiktet wieder, der sagte: „Verlange nicht, dass die Dinge so geschehen, wie du sie willst, sondern wünsche dir, dass sie geschehen, wie sie geschehen, und du wirst glücklich sein.“

Die Vergänglichkeit aller Dinge: Die buddhistische Meditation über die Unbeständigkeit (Anicca) und Marcus Aurelius‘ Reflexionen über die Flüchtigkeit des Lebens zeigen eine fast identische Weltsicht.

 

Aber es gibt auch wichtige Unterschiede

Während die Stoiker die Vernunft als höchstes Gut betrachteten, betonte Buddha die direkte Erfahrung durch Meditation. Die Stoiker strebten nach einem tugendhaften Leben innerhalb der Gesellschaft, während der buddhistische Pfad oft eine Distanzierung von weltlichen Verstrickungen vorsah.

Ein weiterer Unterschied: Die Stoiker akzeptierten die Emotionen als natürliche Reaktionen, wollten aber nicht von ihnen beherrscht werden. Buddha ging einen Schritt weiter und lehrte, dass die Identifikation mit Emotionen selbst eine Illusion ist.

 

Ein praktischer Ansatz

In meiner Praxis erlebe ich täglich, wie Menschen unter dem Druck unserer schnelllebigen Zeit leiden. Die Kombination aus buddhistischer Achtsamkeit und stoischer Gelassenheit kann ein kraftvolles Werkzeug sein. Klient*innen lernen, ihre Gedanken zu beobachten (buddhistisch) und gleichzeitig rational zu bewerten, was sie beeinflussen können und was nicht (stoisch).

 

Die Praxis der achtsamen Gelassenheit

Stellen Sie sich vor, Sie könnten in schwierigen Momenten gleichzeitig präsent bleiben und rational handeln. Das ist möglich, wenn wir buddhistisches Gewahrsein mit stoischer Klarheit verbinden. Jeden Morgen beginne ich mit einer kurzen Meditation, die beide Traditionen vereint: Ich beobachte zunächst achtsam meine Gedanken und Gefühle, ohne sie zu bewerten. Dann frage ich mich in stoischer Manier: „Was liegt heute in meiner Macht zu verändern?“

Diese Praxis lehrt uns etwas Wertvolles: Wir müssen nicht zwischen Mitgefühl und Rationalität wählen. Wir können beides kultivieren. Buddha lehrte uns, das Leiden zu verstehen, ohne davon überwältigt zu werden. Die Stoiker zeigten uns, wie wir trotz äußerer Umstände innerlich frei bleiben können.

 

Die Weisheit des Loslassens

Beide Traditionen verstehen etwas Grundlegendes über das menschliche Leiden: Es entsteht nicht durch die Umstände selbst, sondern durch unser Festhalten an dem, was war, oder unsere Angst vor dem, was kommen könnte. Buddha sprach von der Anhaftung als Quelle des Leidens. Seneca schrieb: „Wir leiden mehr in der Vorstellung als in der Realität.“

In der Beratung beobachte ich immer wieder, wie befreiend es für Klient*innen ist, wenn sie verstehen: Sie müssen nicht jeden Gedanken glauben, nicht jedes Gefühl bewerten und nicht jede Situation kontrollieren. Das ist die Essenz beider Philosophien – die Erkenntnis, dass wahre Freiheit in der Akzeptanz des gegenwärtigen Moments liegt, gepaart mit weiser Entscheidung über unser Handeln.

 

Schlüsselelemente der vereinten Praxis

Die Verbindung von buddhistischer und stoischer Weisheit bietet uns praktische Werkzeuge:

Achtsame Beobachtung: Wie Buddha lehrte, beginnt alles mit dem bewussten Wahrnehmen unserer Gedanken und Emotionen, ohne sofort zu reagieren.

Rationale Bewertung: Die stoische Frage „Ist das unter meiner Kontrolle?“ hilft uns, unsere Energie sinnvoll zu lenken.

Mitgefühlsvolle Akzeptanz: Wir können mit uns selbst genauso gütig umgehen wie mit einem guten Freund in schwierigen Zeiten.

Gelassene Handlung: Wenn wir präsent und klar sind, können wir bewusst wählen, wie wir reagieren möchten.

 

Eine persönliche Reflexion

War Buddha also ein Stoiker? Historisch gesehen natürlich nicht – die Stoa entstand erst um 300 v. Chr., etwa 250 Jahre nach Buddha. Doch er verkörperte bereits viele Prinzipien, die später die Grundlage der stoischen Philosophie bilden sollten. Es ist faszinierend zu sehen, wie Buddha gewissermaßen die stoischen Ideen vorwegnahm.

Diese Erkenntnis hat meine eigene Praxis verändert. Anstatt verschiedene Weisheitstraditionen als getrennte Systeme zu betrachten, erkenne ich zunehmend ihre universelle Wahrheit: Menschliche Weisheit ist zeitlos und kulturübergreifend. Die Suche nach einem Leben in Frieden mit sich selbst und der Welt verbindet uns über alle Grenzen hinweg.

Letztendlich zeigt uns diese Betrachtung etwas Ermutigendes: Auch wenn die Welt um uns herum chaotisch erscheint, können wir lernen, in unserem Inneren einen Ort der Ruhe zu finden. Ob wir ihn nun mit buddhistischen oder stoischen Mitteln erreichen – oder mit einer Kombination aus beidem – ist weniger wichtig als die Bereitschaft, diesen Weg zu gehen.

Vielleicht ist die Frage nach der historischen Zuordnung weniger wichtig als die praktische Anwendung. Beide Traditionen bieten uns Werkzeuge für ein gelasseneres, bewussteres Leben. In meiner Beratung nutze ich oft eine Kombination aus buddhistischer Achtsamkeit und stoischer Rationalität – und die Ergebnisse sind beeindruckend.

Liebe Leserinnen und Leser,

ich begleite Sie gerne auf diesem Weg der bewussten Selbstentdeckung. Kontaktieren Sie mich für ein unverbindliches Erstgespräch – gemeinsam erkunden wir, wie Achtsamkeit und Gelassenheit in Ihrem Leben wirken können.

Rainer Schwenkkraus

Berater und Autor